Header Blog-Beitrag "Führen auf Distanz"

Führungsexperte Stefan Lammers prangert an, dass Führungskräfte mancherorts versuchen die Coronakrise auszusitzen. Führen auf Distanz aus dem Homeoffice, muss Normalität sein.

Die zweite Covid-19-Welle bedeutet auch eine zweite Homeoffice-Welle. Wagten viele Unternehmen im Spätsommer schon wieder den Rückzug ins Büro, heißt es jetzt: Kommando zurück! Für den Führungskräfteberater Stefan Lammers war das abzusehen: „Das ist ein neuer Alltag, das haben viele noch nicht begriffen beziehungsweise dämmert es vielen Managerinnen und Managern erst langsam.“ Lammers hat in den Chefetagen eine Art des Aussitzens der Coronakrise beobachtet und prangert das im t3n-Gespräch an. „Wir werden nicht mehr die gleichen Zeiten wie vor Corona haben“, so der Experte. Wer sich bislang nicht mit der Führung auf Distanz ernsthaft auseinandergesetzt habe, müsse das dringend nachholen. Was vor allem unter dieser gelebten Passivität leide, sei die Motivation der Mitarbeiter, so der Experte. Auch und gerade die Ausgestaltung der Remote-Meeting-Kultur birgt da Risiken, aber auch Chancen.

Coronakrise wird zur Führungskrise

„Wenn wir ehrlich sind, sind die meisten Online-Meetings ein schlechter Versuch, lediglich Präsenzveranstaltungen im Digitalen nachzubilden“, sagt Stefan Lammers. „Die Häufung der Videocalls, das teilweise nahtlose Übergehen von einer Konferenz zur anderen, die brutale Frequenz, teils bis zum Vierfachen am Tag – das laugt aus“, erklärt der Führungskräfteberater und fragt sich, wie so im heimischen Umfeld konsequent gearbeitet werden soll? Erst kürzlich hat die Softwareentwicklungsschmiede Atlassian in einer Umfrage zwei interessante Zahlen dazu erhoben: Nur 27 Prozent der global Befragten glauben, dass ihre Arbeitsbelastung zugenommen hat, aber 42 Prozent sagen, dass sie mehr Zeit für die Arbeit aufwenden. Das liegt zum einen daran, dass Prozesse im Homeoffice noch immer ineffizient sind und zum anderen, dass mehr Zeit in Calls verbracht wird. Ein Umstand, den Führungskräfte adressieren sollten.

„Es ist für viele einfach anstrengend, die klassische Besprechungszeit auch noch am Rechner zu sitzen“, so Lammers. „Die war in der Vergangenheit eine gute Abwechslung, ist jetzt aber auf den Bildschirm verlegt.“ Was dieser Tage im Umkehrschluss also umso wichtiger ist, sind Antworten auf drängende Fragen wie: Wofür braucht es ein Meeting? Wie viele und welche Teilnehmenden sind nötig, um eine Entscheidung zu treffen? Wo reicht ein kurzes Telefonat? Was passt in eine E-Mail? Was muss überhaupt besprochen werden? Um diese und auch viele andere Fragen zu beantworten, seien regelmäßige Feedbackgespräche ein guter Hebel. „In einem von uns begleiteten Unternehmen wird gerade ein Klimaindex ermittelt. Die Mitarbeiter werden einzeln gefragt, wie zufrieden sie mit ihrem Arbeitgeber auf einer Skala von 1 bis 10 sind. Nach der Antwort wird gefragt, was es braucht, um zum Jahresende auf 10 zu kommen“, so Lammers.

„Wichtig ist, noch näher an den Mitarbeit-enden dran zu sein!“

Stefan Lammers, Führungskräfteexperte

Hieraus lassen sich „Quick Wins“ ableiten, wie der Führungskräfteberater sagt, um die Zufriedenheit im Anschluss nachhaltig zu steigern. Konkret lässt sich darüber auch die Stimmung der Mitarbeitenden zur gelebten Meeting-Kultur ermitteln und gegebenenfalls Konsequenzen und Veränderungen ableiten.

Die Methode profitiert vom direkten Gespräch, wer jedoch aus Zeitgründen einen regelmäßig automatisierten Feedback-Kanal schaffen möchte, kann auch auf Online-Tools zurückgreifen. Anbieter wie Office Vibe oder der deutsche Herausforderer Company Mood machen das möglich: Team-Mitglieder können über wöchentliche Stimmungsbewertungen per App oder im Browser ihr Mitarbeiter-Feedback zu konkreten Themen geben. Populär sind auch Dienste wie 15Five, Culture Amp, Weekdone und Tinypulse. Diese Tools sollten das direkte Feedback-Gespräch jedoch ergänzen und nicht versuchen, es zu ersetzen.

„Ein ganz wichtiger Schlüssel in dieser Zeit ist, noch näher an den Mitarbeitenden dran zu sein“, sagt Stefan Lammers. „Dies ist vielleicht sogar nötiger als vorher.“ Eine Führungskraft müsse mehr als zuvor ein echtes Interesse an den Emotionen, Wünschen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden haben, um sie bei den aktuellen Herausforderungen der Coronapandemie nachhaltig zu unterstützen. Denn durch das Wegfallen des Flurfunks, der Küchengespräche oder dem Personalgespräch vis-a-vis fehlt es an Reflexionsfläche. Doch nicht nur Chefinnen und Chefs sind gefragt: Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten für ihre Belange einstehen, Veränderungswünsche ansprechen und nicht zuletzt auch einfordern, sofern ein Thema noch nicht adressiert scheint. Da sei die gelebte Meeting-Kultur nur eins von vielen Themen, die zur Steigerung der Mitarbeitermotivation beitragen – auch konkrete Erreichbarkeitsregeln reihen sich ein.

Vorgesetzte hätten diese Faktoren mal mehr mal weniger adressiert, beispielsweise in Form von virtuellen Café-Gesprächen und regelmäßigen Video-Meetings ohne konkreten beruflichen Bezug, räumt Stefan Lammers ein. „Mittlerweile scheint das je nach Team und den einzelnen Mitarbeitenden aber nicht mehr ausreichend zu sein. Wir stellen das vermehrt fest“, so der Experte. „Es äußert sich in Ungeduld, Hinterfragen aus Prinzip und teilweise auch verbaler Aggressivität in der Belegschaft“, erklärt Stefan Lammers. Vielen Führungskräften sei spätestens dann bewusst, dass sie etwas anders machen müssen, jedoch müsse es gar nicht erst soweit kommen. Die Coronapandemie einfach auszusitzen und darauf zu hoffen, dass in wenigen Wochen oder Monaten wieder alles beim Alten sei, hält der Führungskräfteberater Stefan Lammers für absolut unwahrscheinlich. „Wir müssen uns dem ‚New Normal’ jetzt endlich stellen.“

Dieser Artikel ist erstmalig am 05.11.2020 bei t3n erschienen.